Börsenkommunikation

Börsenkommunikation
von Dr. Perry Reisewitz
I. Zweck und Ziel
Die Börsenkommunikation gehört zu den Kommunikationsformen der  Public Relations (PR). Ihr zentraler Zweck ist es, die Wettbewerbsfähigkeit des Unternehmens am  Kapitalmarkt zu sichern. Die  Aktie wird dabei weniger als Anteilsschein am Unternehmen, sondern vielmehr als eigenständiges Produkt betrachtet, das am Markt positioniert werden kann. Vorrangiges Ziel der Börsenkommunikation ist es, durch Transparenz der Geschäftspolitik und Bereitstellung umfassender und seriöser Markt- und Unternehmensinformationen mittel- und langfristig das Vertrauen der Anleger zu erlangen, sie damit zu Aktienkäufen zu animieren und private wie institutionelle Shareholder ( Anteilseigner) ans Unternehmen zu binden. Dazu gehört die zeitnahe und umfassende Information der Zielgruppen über Unternehmen, Management, Produkte und Dienstleistungen, über Geschäftsprozesse, Forschung und Entwicklung, Markt und Wettbewerb, Risiken und Chancen. Zu den Zielgruppen der Börsenkommunikation gehören v.a. Wirtschafts-, Finanz- und Börsenmedien (besonders große Tageszeitungen, Wirtschaftsmagazine, Börsenzeitungen und -magazine, Börsenbriefe, Onlinedienste), daneben institutionelle und große private Anleger, Communities/Newsgroups im Internet, Fondsmanager sowie Finanzinstitute.
II. Entwicklung
Mit dem Börsengang der Deutschen Telekom AG im November 1996 und der Gründung des Neuen Marktes als Wachstumssegment der Deutschen Börse AG in Frankfurt a.M. am 10.3.1997 ist die Aktie als Anlageform in Deutschland erstmals stark ins allgemeine Interesse gerückt. Die hohe Zahl der Börsengänge in den Jahren 1999 und 2000 machten Börsen und  Aktiengesellschaften darüber hinaus einer weiten Öffentlichkeit bekannt.
Diese Entwicklung hat zu einer ersten Professionalisierung der Öffentlichkeitsarbeit bei börsennotierten Unternehmen geführt. Der weltweite Einbruch bei Technologie-Titeln und in der Folge an den  Aktienmärkten Branchen und Segment übergreifend in den Jahren 2001 und 2002, verstärkt durch den Terroranschlag auf das World Trade Center am 11.9.2001, sowie die Skandale am Neuen Markt haben das Interesse der Öffentlichkeit am Aktienmarkt stark gedämpft. Erst seit 2004 ist wieder ein erhöhtes Engagement von Privatanlegern an den Börsen zu verzeichnen. Die Kurse fielen beim DAX von 8.136 Punkten am 7.3.2000 auf 2.519 Punkte am 9.10.2002. Am 16.10.2002 beschloss die Deutsche Börse AG auf Basis des am 1.6.2002 in Kraft getretenen Vierten Finanzmarktförderungsgesetzes, strukturelle Änderungen vorzunehmen. Seit dem 1.1.2003 gilt die neue  Börsenordnung, die auf den beiden grundsätzlichen Segmenten  Prime Standard und  General Standard beruht.
In den Jahren 2000 bis 2002 kam es bei vielen Unternehmen zu einer weiteren Professionalisierung der Börsenkommunikation mit dem Ziel, durch erhöhte Transparenz einen Teil des verlorenen Anlegervertrauens zurück zu gewinnen. Insofern erfüllt die Börsenkommunikation einerseits den Anspruch nach Seriosität von Seiten der Unternehmen, andererseits die Forderung nach Transparenz von Seiten der Anleger und Aktionärsschützer.
III. Publizitätspflichten
Grundlegende Kommunikationspflichten für die Aktienmärkte regeln u.a. § 15 und 15a des  Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) und die §§ 30, 39, 40, 51 und 54 des  Börsengesetzes. Zusätzliche Pflichten beschreibt die Börsenordnung für die Frankfurter Wertpapierbörse (www.deutsche-boerse.com, Rubrik Info Center, Regelwerk der FWB Frankfurter Wertpapierbörse, besonders Abschn. XIV, XV, XVI). Für den General Standard gelten die gesetzlichen Mindestanforderungen. Für den Prime Standard gelten erweiterte Publizitätspflichten. Diese betreffen die Veröffentlichung eines Geschäftsberichts (nach bestimmten Mindestanforderungen spätestens drei Monate nach Ende des Berichtzeitraums), die Quartalsberichterstattung (nach bestimmten Mindestanforderungen zu publizieren spätestens vier Monate nach Ende des Berichtzeitraums), die Rechnungslegung nach den internationalen Rechnungslegungsstandards  International Financial Reporting Standard (IFRS) oder  US-GAAP, ferner die Veröffentlichung eines Unternehmenskalenders (auch auf der Homepage), mindestens je eine Bilanzpressekonferenz und eine Analystenveranstaltung im Jahr und die Ad-hoc-Publizität, die dem Herstellen der Bereichsöffentlichkeit dient und damit dem Insiderhandel vorbeugt.
IV. Ad-hoc-Publizität
Die Ad-hoc-Publizität gehört zu den wichtigsten Veröffentlichungspflichten für Wertpapieremittenten. Sie ist im Wertpapierhandelsgesetz (§ 15 WpHG) geregelt. Emittenten, die an einer inländischen Börse zum Handel zugelassen sind, sind gesetzlich verpflichtet, kursrelevante Tatsachen unverzüglich öffentlich zu machen. Die im Freiverkehr gehandelten Effekten sind ausgenommen. Ziel ist es, durch das sog. Herstellen der Bereichsöffentlichkeit, also die Informationsweitergabe an wesentliche Informationsvermittler (überregionale Börsenpflichtblätter, elektronische Informationsverbreitungssysteme) dem Insiderhandel vorzubeugen und eine allgemeine Transparenz zu schaffen. Publizitätspflichtige Tatsachen müssen noch vor der Veröffentlichung an die  Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und die Geschäftsführungen der Börsen, an denen die Effekten oder deren Derivate zum Handel zugelassen sind, übermittelt werden. Ein Verstoß dagegen kann mit einer erheblichen Geldbuße geahndet werden. Die BaFin prüft, ob die Emittenten ihrer Publizitätspflicht nachkommen. Die Börsen entscheiden darüber, ob die Veröffentlichung der Kurs beeinflussenden Tatsache eine vorübergehende Kursaussetzung erfordert.
Zu den meldepflichtigen Tatsachen können  Mergers & Acquisitions, Großaufträge, unerwartetes neues Umsatzpotenzial, Bilanzzahlen, Gewinneinbrüche, gewichtige personelle und andere einschneidende Veränderungen im Unternehmen gehören. Verwendete Kennzahlen müssen üblich sein und den Vergleich mit den zuletzt genutzten Kennzahlen ermöglichen. Nicht aufgenommen werden sollten hingegen persönliche Statements, Vermutungen und werbliche Aussagen. Ad-hoc-Mitteilungen sollen möglichst knapp gefasst werden und eine Länge von 2.400 Zeichen nicht überschreiten. Zusätzliche Informationen können über kommentierende Pressemitteilungen verbreitet werden.
Über die Frage, ob es sich tatsächlich um eine kursrelevante Tatsache handelt, entscheiden die an deutschen Börsen notierten Unternehmen zunächst selbst. Erst im Nachhinein prüft die BaFin, ob ein Unternehmen den Rahmen der gesetzlichen Vorschriften verlassen hat. Eine generelle Vorab-Prüfung des Inhalts findet nicht statt. Das Fachreferat für Ad-hoc-Publizität der BaFin steht Unternehmen nach eigenen Aussagen jedoch für Auskünfte zur Verfügung.
Gelten im Rahmen der Börsenkommunikation für den General Standard die gesetzlichen Vorschriften, so fordert die Deutsche Börse AG von Unternehmen im Prime Standard erhöhte Publizitätspflichten. Dazu gehört die Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilungen gleichzeitig in englischer Sprache. Juristisch abgesichert regeln viele Unternehmen ihre Veröffentlichungspflicht über professionelle Anbieter.
- Weitere Informationen unter www.dgap.de, www.euroadhoc.de und www.huginonline.de.
V. Veröffentlichung von Übernahmeangeboten und von Übernahmen
Nach dem  Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetz (§§ 10, 14 WpÜG) muss ein Unternehmen die Entscheidung zur Abgabe eines Angebotes zum Erwerb von Wertpapieren der Zielgesellschaft und die Angebotsunterlage unverzüglich veröffentlichen. Ebenso ist die mittelbare oder unmittelbare Erlangung der Kontrolle der Zielgesellschaft innerhalb von sieben Kalendertagen veröffentlichungspflichtig (§§ 35, 29 WpÜG). Informiert werden müssen die Börsen, an denen die entsprechenden Wertpapiere bzw. deren Derivate gehandelt werden, die BaFin sowie die Bereichsöffentlichkeit (z.B. über ein überregionales Börsenpflichtblatt).
VI. Weitere Instrumente
Um die Bekanntheit des Unternehmens in der Finanzwelt zu erhöhen, nutzt die Börsenkommunikation Mittel der klassischen Public Relations (Pressemitteilungen, Pressekonferenzen, Journalistenreisen, Hintergrundgespräche mit der Finanz- und Wirtschaftspresse, Wahrnehmen von Speaking Opportunities, Lancieren von Unternehmensportraits und Hintergrundberichten) und der Investor Relations (Zielgruppe Aktionäre: entweder direkt über Hauptversammlung, Aktionärsbriefe, Mailings, Geschäftsbericht/Imagebroschüre, oder indirekt durch Kontakt zu Börsenbriefen und anderen Börsenmedien, Redaktionen von Finanzseiten im Internet, Einflussnahme auf Diskussionsforen im Internet, Kontakt zu Analysten durch sog. Road Shows, daneben Hintergrundgespräche mit Redakteuren, Analysten und Fondsmanagern). Auch der inhaltlichen Gestaltung von Quartals- und Geschäftsbericht über den Pflichtteil hinaus kommt eine wichtige Funktion zu.
Immer stärkere Bedeutung erhalten die Neuen Medien: Pressemitteilungen, Ad-hoc-Mitteilungen, Interviews der Geschäftsleitung (schriftlich, in Bild und/oder Ton), Quartals- und Geschäftsberichte, Unternehmens-Präsentationen, Mitschnitte von Presse- und Analystenkonferenzen sowie aktuelle Unternehmensdaten sollten in einem speziellen Bereich auf der unternehmenseigenen Homepage direkt eingesehen werden können oder zum Download zur Verfügung stehen (passive Börsenkommunikation). Dazu gehören auch aktuelle Daten zur Branchen- und Marktsituation. Wichtige aktuelle Unternehmensinformationen sollten an registrierte Interessenten (private wie institutionelle Anleger, Presse) regelmäßig per E-Mail versandt werden. Auch Life-Übertragungen von Presse- und Analystenkonferenzen sowie Hauptversammlungen im Internet und internationale Telefonkonferenzen z.B. für Analysten und Medienvertreter ermöglichen die regelmäßige Weitergabe aktueller Informationen an bestimmte Interessengruppen (aktive Börsenkommunikation).
Wichtige Links: www.deutsche-boerse.com (Deutsche Börse AG); www.bafin.de (Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht); www.dai.de (Deutsches Aktieninstitut e.V.); www.dsw-info.de (Deutsche Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz e.V.); www.sdk.de (Schutzvereinigung der Kleinaktionäre e.V.); www.criticalshareholders.com (Dachverband der kritischen Aktionärinnen und Aktionäre).

Lexikon der Economics. 2013.

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